Dienstag, 3. Februar 2009

"Reben" im Falter. Von Paul Pechmann.

Morgengabe am Grassnitzberg
Die aus der Südsteiermark stammende Andrea Stift zerpflückt in ihrem Buchdebüt "Reben" ein "starkes" Stück Familiengeschichte.

Im literarischen Abarbeiten familiärer Spurensuche erkunden schreibende Nachkommen oft auch die eigene Identität. Mitunter mit dem Ziel, psychische Traumata zu lindern. Fernab von selbsttherapeutischer Absicht nimmt sich aber Andrea Stift die Biografie ihrer Urgroßmutter zum Stoff für ihr erstes Buch, das den Leser auf einen gut hundert Jahre durcheilenden Ausflug ins steirische und einstmals untersteirische Rebenland mitnimmt. Das historische Vorbild der Hauptfigur, Anna Stift, starb ein Jahr, bevor die heute 30-jährige Autorin Andrea Stift auf die Welt kam. Diesem Umstand verdankt sich der emotionale Abstand, den die Erzählerin zu ihrem Objekt hält, ein kühler Chronistenton verleiht der Geschichte gemessenen Ausdruck.

Die Vita der Anna Stift ist weniger bemerkenswert als deren Wesen: Mit dem Willen ausgestattet, "ein bisschen mehr Geld und ein bisschen mehr Macht zu haben als die anderen", findet die Tochter eines trunksüchtigen, bankrott gegangenen Holzhändlers aus der Gegend um Cilli/Celje ihr Glück in Straß in Gestalt der Ehe mit dem Geschäftsmann und Bürgermeister Carl Stift. Sie wird die "Alpha Löwin" ihrer Gemeinde, ein Weingarten am Grassnitzberg, den sie als "Morgengeschenk" vom Bräutigam bekommt, ist fortan Zentrum ihres Lebensinteresses. Anna, die sich als "Gnädige" ansprechen und mit Handkuss begrüßen lässt, gebietet über Familie, Winzer und Gesinde mit jener Selbstherrlichkeit, wie sie sonst Patriarchen an den Tag legen. Mit dem Aufstieg zur landwirtschaftlichen Unternehmerin ändern sich im Haushalt der Stifts lediglich die Vorzeichen sozialer Asymmetrien: von der Herrschaft in Richtung Matriarchat. Für die Winzer freilich, die von der "Gnädigen" "abgewatscht" werden, kommt zu den brennenden Backen noch die Scham. Als Gegenentwurf zu obsoleten Geschlechterrollen taugt die "starke" Persönlichkeit der Anna nicht; in Bezug auf die Autorin Andrea Stift, die - laut Klappentext - mit zwei Kindern und drei Katzen in Graz als freie Autorin und Journalistin lebt, erscheint die Figur der Urgroßmutter wie das Zerrbild einer emanzipierten Frau. Mit ihrem rein äußerlichen Ehrbegriff, den sie über alle Schicksalsschläge wie den Tod ihrer drei Söhne hinweg mit Konsequenz umsetzt, wird sie zur tragischen Figur. Ihre Geltungssucht führt schließlich zum Ruin des Familienbesitzes. Die zeitgenössische Chronistin, die ihre Informationen vor allem aus den in der Familie zirkulierenden Anekdoten bezieht, verzichtet weitgehend auf die fiktionale Ausgestaltung von Überlieferungslücken. Was die Familie kompromittieren könnte, wird nur vage angedeutet. Zu deren Verhalten während des Nationalsozialismus heißt es: "Man blieb, so gut es geht, bürgerlich" und "hält sich mit einer Unmenge von Kontakten, Bünden, Freundschaften irgendwie stromlinienangepasst". Das Leben der Urgroßmutter erscheint - aus heutiger Sicht - eher banal.

So verwundert auch nicht, dass die Frage nach dem Besonderen des Stoffs in der Erzählung selbst wiederholt zum Thema gemacht wird. Die Autorin zeigt gekonnt ihre Reflektiertheit, wenn sie mit Augenzwinkern auf die drei Stipendien hinweist, die sie zur Fertigstellung des Textes erhalten habe. Neben solchen Selbstkommentaren streut Stift auch Fachwissen über den steirischen Weinbau in ihr Buch ein. Die Gliederung der Erzählung nach dem Jahreslauf der vom Weinbauern zu verrichtenden Arbeiten mutet allerdings als klischeehaftes Kompositionsmittel an. Die Kritik an der Begradigung und Einebnung der südsteirischen Kultur-Landschaft und an deren Depravation zum Aufmarschgebiet diverser Schnösel trifft schon eher den Sinn jener, die sich noch an ein "authentischeres" Weinland diesseits der slowenischen Grenze erinnern. Mit ihrer "sortenreinen" Erzählung "Reben" legt Andrea Stift, die zuvor regelmäßig in der Literaturzeitschrift "manuskripte" publiziert hat, jedenfalls ein unaufgeregtes Buchdebüt vor. Und so besehen liefert dieser Text eine treffende Allegorie zur - konzentrierten - Arbeit am "Riegel".


(Erschienen im April 2007)

"Reben" in der Wiener Zeitung

Eine junge Steirerin begibt sich auf familiäre Spurensuche: Andrea Stift, Jahrgang 1976, berichtet über das Leben ihrer Urgroßmutter Anna, mit teils protokollarischer Akribie, teils psychologischem Deutungsdrang. Anna Walland stammt, wie Andrea, aus der Untersteiermark, im Elternhaus, nahe der Grenze, wurde Deutsch und Slowenisch gesprochen; Anna besuchte eine Klosterschule, heiratete Herrn Carel Stift aus Straß, dem sie später drei Söhne gebar, und erhielt als "Morgengabe" einen Weingarten, der ihr ans Herz wuchs: "Die einzige Konstante im Leben meiner Urgroßmutter, der einzige Fix- und Angelpunkt, um den sich ihr Leben von der Hochzeit bis zu ihrem Tod drehte, war der Weinbau." Anna führte über ihre Arbeit im Weingarten Buch, sogenannte "Leseaufzeichnungen", aus denen Andrea zitiert, solcherart Einblick in die Winzerpraxis gewährend. Zudem wirft die wissbegierige Autorin Rückblicke auf das ländliche Alltagsleben in früheren Zeiten. Vor allem aber schaut sie staunend, bewundernd, dankbar und stolz zu ihrer starken, mutigen, "einzigartigen und bemerkenswerten" Vorfahrin auf. Geschichte einer Urgroßmutter. (Erschienen April 2007)

"Reben" in der Furche. Von Beatrix M. Kramlowsky.

Herrin der Weinberge. Andrea Stift erzählt von einer starken südsteirischen Bäuerin: ihrer Großmutter

Über Großmütter erzählen viele, aber Andrea Stift gelingt dies in „Reben“ besonders gut, indem sie die Lieblingsarbeit der Matriarchin als roten Faden wählt.
In der Südsteiermark entwickelt sich das Leben einer ungewöhnlich zielstrebigen Frau, die sich weder von politischen Entwicklungen, noch vom Wetter und schon gar nicht von ihren Kindern aufhalten lässt. Sie ist Bäuerin und gleichzeitig Dame, eine Respektsperson für alle, gefürchtet von vielen, geschätzt auch von Gegnern, geliebt von wenigen, bewundert bis weit über ihren Tod hinaus.
Aufstieg und Niedergang der Familie werden von ihr eingeleitet. Es ist eine wehrhafte Frau, die Gott aus ihrem Leben verbannt, weil er Schmerzen zulässt, die ihre Söhne begraben muss, Geliebten und Schwiegertöchtern das Leben schwer macht, stur zu ihren Überzeugungen steht und das Versinken der Familie in der Bedeutungslosigkeit akribisch aufzeichnet wie alles andere auch.

Solche Großmütter waren vermutlich nicht selten, aber an dieser Geschichte berührt die Art, wie die Urenkelin sich diesem Leben nähert, besonders. Andrea Stift, bereits mit mehreren österreichischen Preisen ausgezeichnet, bleibt vorsichtig bei Überprüfbarem, erwägt Erdachtes, immer klar unterscheidend zwischen wissen und Möglichkeit. Da die Urgroßmutter den Weinbau vorangetrieben hat, wird ihr Leben dem Wachsen und Gedeihen der Stöcke, der saisonalen Arbeit gegenübergestellt. Man lernt von bäuerlichen Gerätschaften, Fertigkeiten, Zwischenprodukten.
Manchmal verliert die 1976 in der Südsteiermark geborene Autorin die Distanz, Empathie, Ironie, Witz und schmerz verstärken die Intimität, die Urenkelin wird sehr präsent als Erzäh-lerin eines fremden Lebens. Das mag irritieren, aber überzeugend genug ist auch hier der Ton, der dieser ungewöhnlich imposanten Frau nachspürt: eine besondere Spurenlese, die Vieles verrät und einiges lehrt, so en passant und trotzdem einprägsam. Das Buch gerät zum Dialog zweier sehr starker Persönlichkeiten, in der eine der anderen hinterher ruft, nachjagt, sie zu enträtseln versucht. Das macht den größten Reiz aus, und man verzeiht das allzu Private gerne.

(Erschienen im Februar 2008)

"Reben" im korso. Von Hedwig Wingler.

Reben haben Wurzeln, Stöcke und Ranken, Blätter und Beeren.

Die Reben in der Geschichte von Andrea Stift wuchsen im Weingarten der Urgrosseltern, in der südsteirischen Landschaft bei Strass an der Mur, als die „Untersteier“ noch dazu gehörte und als in den dortigen Familien noch selbstverständlich Slowenisch und Deutsch gesprochen wurde. Der Trauschein der Urgrosseltern wurde zweisprachig ausgestellt, die Gebühr betrug einen Schilling bzw. zehn Dinar. Die „Reben“ sind auch die Metapher für den Familienstammbaum. Es ist die Person der Ur-grossmutter Anna, der es gelang, „durch mündliche Überlieferung lebendig zu bleiben“. Ihretwegen schreibt die Urenkelin dieses Buch.

Über die Vorfahrin sind viele Geschichten in der Familie im Umlauf. Der Autorin, die ein Jahr nach Annas Tod geboren ist, „liegen sie (die Erzählungen) in der Magengrube wie Haarbällchen, die von Katzen wieder nach oben gewürgt werden“ (S. 7). Daher muss sie schreiben, um sich frei zu machen. Das tut sie nicht naiv, sondern sie reflektiert die Methode der Rekonstruktion eines Lebens und des Zustandekommens dieser Geschichten. Andrea Stift hat die gestalterische Kraft, als Nachgeborene jene Zeiten und Umstände zu zeichnen, und sie möchte den Personen gerecht werden, ohne sie zu beschönigen. Die Autorin richtet drei Erzählebenen ein; die eine erstreckt sich von der Kindheit Annas am Ende des 19. Jahrhunderts über Ehe und Familienleben bis zu ihrem Tod 1975; die andere Ebene ist sozusagen auf dem Schreibtisch von Andrea Stift angesiedelt und bedient sich der Ich-Form. Die Autorin über ihre Methode: „Ich stülpe sie (die Urgrossmutter) von innen nach aussen“ (S. 57 f), auch unter Benutzung von Tagebuchnotizen der Anna Stift.

Die dritte Stil-Ebene ist ausschließlich den Reben gewidmet. Fachmännisch befassen sich Abschnitte, die von den Erzähl- und Reflexionsebenen sich auch stilistisch unterscheiden, mit den Reben „im Frühling“, „im Sommer“, „im Herbst“ bis zum Pressen mit allen Arbeiten, die der Weingarten erfordert. „Im Oktober jedenfalls scheint eine gänzlich andere Sonne, sie gerbt die Blätter wie ein paar Monate zuvor die Haut der draußen Arbeitenden.“ (S. 60)

Über zehn Hektar Reben herrscht Anna, mitsamt den dazu notwendigen Arbeitern. Auch Ehemann und Familie werden im Hintergrund sichtbar, ebenso die wechselvolle politische Ge-schichte der Landschaft, die durch den Friedensschluss am Ende des Ersten Weltkrieges 1918 plötzlich an einer Staatsgrenze lag, die dann 1945 Eiserner Vorhang war und erst wieder in unserer Zeit offener geworden ist.

(Erschienen im Februar 2008)

3 stunden in houston

nur am flughafen geparkt, um von dort weiter nach managua zu fliegen, und trotzdem das einreiseformular der usa ausfüllen. das ist ziemlich spooky.
laut programm lesen andreas und ich nur zweimal, einmal les ich mit marusa krese, was zufall ist und mich sehr freut. hier, graz: schnee. so hoch, dass der hund hüpfen muss, um sich von der stelle bewegen zu können.
logo

Knautschzone

...für Fussgänger

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

was???
heißt das kein blog mehr? wehe!
dermvh - 9. Feb, 21:35
This Blog is an ex-blog.
Bereft of life, he rests in peace. ab sofort werde...
minamon - 7. Feb, 22:56
"Klimmen" in The Gap....
Wenn man „über dreißig ist und fertiggefahren“, werden...
minamon - 5. Feb, 16:42
"Reben" im Falter. Von...
Morgengabe am Grassnitzberg Die aus der Südsteiermark...
minamon - 3. Feb, 13:15
"Reben" in der Wiener...
Eine junge Steirerin begibt sich auf familiäre Spurensuche:...
minamon - 3. Feb, 13:13

zu lesen


Andrea Stift
Reben


Linda Stift
Stierhunger


Johannes Gelich
Der afrikanische Freund


Christof Huemer
Zweifellos


Linda Stift
Kingpeng


Johannes Gelich
Chlor

whatever

that`s all very repulsive but we can still sneak a peek, can`t we?

hören sollen


Die Literaturdings
entertain us
Rezensionen
Unterweger & Stift
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren